Digitalisierung: Gespräch über „Die Zukunft des Lernens“

Am Freitag, den 29. September 2017 lud Swarovski zu einem Gespräch über das Thema „Zukunft des Lernens“ ein, der große Saal im „Riesen“ in Wattens war ausgebucht, und vor allem sehr viele Lehrerinnen und Lehrer waren gekommen, um die kontroversen Keynotes von Ralph Müller-Eiselt von der Bertelsmann Stiftung und von Gerald Lembke, Wirtschaftswissenschaftler und Experte für digitale Medien zu hören. Auch Bildungsministerin Sonja Hammerschmid war anwesend und beteiligte sich an der abschließenden Podiumsdiskussion.

Herr Müller-Eiselt, der erste Referent, entwarf ein betont euphorisches Bild von den Möglichkeiten der Digitalisierung und sieht die Chancen für unsere Gesellschaft vor allem darin, dass wir mit hilfe der Medien mit heterogenen Gruppen besser umgehen können, dass die „Massifizierung“ von Online-Kursen begabten Menschen weltweit den Zugang zu Bildung eröffnen würden und dass durch den spielerischen Umgang mit Lerninhalten („gameification“) Lernende motiviert würden, sich mit Inhalten intensiver zu befassen. Letztlich blieb Müller-Eiselts jedoch sehr an der Oberfläche und konnte das Publikum nicht überzeugen.

Ganz anders argumentierte Gerald Lembke von der dualen Hochschule in Baden-Württemberg. Er verwies gleich zu Beginn seines Vortrags auf das massive finanzielle Interesse des Bertelsmann-Konzerns an der Bildung und relativierte viele Aussagen seines Vorredners. Es sei heutzutage mehr denn je zuvor nötig zu wissen, welcher Konzern welche Studien finanziert habe, betonte er.

Lembke zeichnete ein vollkommen anderes Bild von den Möglichkeiten der nicht mehr so „neuen“ Medien. Er berief sich auf die Ergebnisse von aktuellen Studien, die belegen, dass Kinder bis zum 6. Lebensjahr, die intensiv Medien ausgesetzt sind, häufig Entwicklungsstörungen zeitigen. Sämtliche bekannten Studien würden außerdem darauf hindeuten, dass elektronische Geräte bis zum Alter von zwölf Jahren keine positiven Lerneffekte erzielen. Statt dessen zeichne sich viel mehr ab, so der Experte, dass Kinder, die zu intensiv digitale Medien nutzen, eine verzögerte sprachliche Entwicklung erleben sowie an motorischer Hyperaktivität leiden. Die Erfahrungen von Kinderärzten und Psychologen würden seine Ansicht unterstützen, so Lembke.

Weiters gibt es deutliche Belege dafür, dass eine intensive Mediennutzung die Aufmerksamkeitsspanne gravierend senken würde, sodass sich bereits Mäuse länger auf eine Sache konzentrieren können als Kinder, die sich andauernd mit Smartphones und Tablets beschäftigen. Der Wissenschaftler ist überzeugt, dass unsere Gesellschaft nach den 10 Jahren, seit denen es erst Smartphones gibt,  noch nicht weiß, wie man sie sinnvoll einsetzen soll. Ihm sei aber bewusst, wie schwierig es ist, das Telefon – aufgrund des hohen Suchtfaktors – abzuschalten. Seinen eigenen Studien zufolge schauen Jugendliche im Schnitt täglich 150x in Facebook nach, ob dort jemand etwas Neues gepostet habe.

Ein weiteres Forschungsergebnis belegt auch, dass nur wenige Studierende im Hörsaal ihre Laptops für Aufzeichnungen nutzen, sondern vor allem dafür, um sich mit ihren Freunden über Facebook zu unterhalten. Die in diesem Zusammenhang oft geäußerte Behauptung, dass man ja in der Lage sei, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, hält er für abwegig, denn Menschen könnten  „multitaskingfähig“ sein, also mehrere Tätigkeiten gleichzeitig gut ausführen.

Grundsätzlich plädiert er daher dafür, dem Nachwuchs erst mit 12, 13 Jahren Smartphones und Tablets anzubieten, weil seine Forschungsarbeit belege, dass der übliche Handygebrauch die Tage der Heranwachsenden zu sehr fragmentiere und auch, weil Kinder viel zu lange – im Schnitt 7 Stunden täglich – online sind.  Nicht wenige hätten ein Schlafdefizit, weil sie in den frühen Morgenstunden in die virtuelle Welt einstiegen und sich bis tief in der Nacht mit Spielen und Chatten beschäftigten. Wenn sich Kinder nun auch noch in Kindergarten und Volksschule mit digitalen Geräten beschäftigen sollen, wird die Zeit vor dem Bildschirm deutlich zunehmen. Deswegen vertritt Lembke die Ansicht, dass Smartphones etc. dort nichts verloren hätten, denn „der beste Start ins digitale Zeitalter sei eine Kindheit ohne Computer“.

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