Hans Rosling – ein Nachruf

Anfang Februar 2017 starb Hans Rosling, ein großer Wissenschafter und Optimist. Er war Professor für globale Gesundheit und lehrte am Karolinska-Institut, der königlichen medizinischen Universität, in Stockholm. In den letzten 15 Jahren widmete Rosling seine Zeit und Energie zunehmend der Darstellung der komplexen Zusammenhänge von Gesundheit, Wohlstand und wirtschaftlicher Entwicklung.

Professor Rosling verstand es meisterhaft, komplizierte Sachverhalte anschaulich zu präsentieren und uns darüber aufzuklären, welch gewaltige Fortschritte die Menschheit in seinem Forschungsgebiet gemacht hat – und wie wenig wir davon wissen bzw. wissen wollen (!). In seinen Vorträgen geht es meist um die weltweite Entwicklung von Geburtenraten, die Einkommensverteilung und die Lebenserwartung. Er brillierte darin, schwierigste Sachverhalte grafisch spannend aufzubereiten und sie humorvoll vorzutragen (vgl. seine TED-Videos – hier klicken.)

Im Jahr 2005 gründete er mit seinem Sohn die Stiftung Gapminder (im Internet unter gapminder.org zu finden). Dort finden Sie hervorragende Materialien für Ihren Unterricht, z. B. Videos, die frei zugängliche Statistiksoftware Trendalyzer, PPT-Präsentationen, Poster, Handreichungen und vieles mehr.

Besonders interessant ist für verschiedene Schulfächer das aktuelle Projekt „Dollar Street“, das belegt, wie Menschen auf dem Globus heute wirklich leben. Dafür hat Gapminder bei 240 Familien in 46 Ländern rund 30000 Fotos machen lassen und frei zugänglich dokumentiert, wie die Lebensumstände dieser Menschen aussehen. Das hochinteressante Ergebnis finden Sie hier: https://www.gapminder.org/dollar-street/matrix

Was wissen die Schimpansen?

Ein Hauptproblem für Rosling war es, dass weder die Schulen noch die Medien der westlichen Welt uns ein Bild vermitteln, das auf Fakten basiert. Und das versuchte er in seinen letzten Jahren beharrlich zu korrigieren, indem er auf das Missverhältnis von Fakt und Fiktion hinwies und Wege aufzeigte, wie man mithilfe der Statistik zu einer objektiveren Weltsicht gelangen kann. Um z. B. sichtbar zu machen, an welche Mythen wir heute glauben, konfrontierte Rosling seine Zuhörer gerne mit Tests.

Einen Vortrag in Berlin eröffnete er 2014 mit den untenstehenden Fragen – testen Sie sich selbst (die Antworten finden Sie ganz unten[1]):

  1. Wie hat sich die Zahl der Todesfälle pro Jahr durch Naturkatastrophen während des letzten Jahrhunderts verändert?
    1. Hat sie sich verdoppelt,
    2. blieb sie weltweit gleich oder
    3. hat sie sich mehr als halbiert?
  2. Wie lange gingen heute 30-jährige Frauen weltweit zur Schule?
    1. Sieben,
    2. fünf oder
    3. drei Jahre?
  3. Wie hat sich in den letzten 20 Jahren der Anteil der Menschen auf der Welt verändert, die in extremer Armut leben? Extreme Armut — nicht ausreichend Essen für den Tag.
  4. Hat er sich fast verdoppelt,
  5. ist er etwa gleich geblieben oder
  6. hat er sich halbiert?

Wir Pessimistinnen und Pessimisten

Ein Großteil der Antworten der Anwesenden war falsch. Zum großen Vergnügen der Zuhörerinnen und Zuhörer präsentierte der Wissenschaftler zuerst die besonders schlechten Antworten aus seiner schwedischen Heimat. Um dann darauf hinzuweisen, dass er auch amerikanische und europäische Journalisten getestet habe – die sogar noch schlechter abschnitten als das schwedische Publikum.

Die erste Frage wurde z. B. nur von 12% der Schweden richtig beantwortet, die wussten, dass sich heute die Anzahl der Todesfälle durch Naturkatastrophen mehr als halbiert hat. Nur ein knappes Drittel des Berliner Publikums nahm an, dass die Welt in puncto Naturkatastrophen heute wesentlich sicherer ist, als sie einmal war.

Rosling nennt diesen Test den „Schimpansentest“, denn die Primaten, die keine Ahnung von den Zusammenhängen haben, würden jede Frage mit 33% beantworten – hätten also bei einer Befragung ein wesentlich besseres Ergebnis erzielt als die Schweden bzw. das während des Vortrags befragte Berliner Publikum.

Was sind die Gründe dafür, dass selbst im so genannten „Informationszeitalter“ so viel falsches Wissen in unseren Köpfen herumspukt? Hans Rosling und sein Sohn Ola sind überzeugt, dass es zum einen unsere Vorurteile sind, die unsere Wahrnehmung trüben, und zum anderen die Tatsache, dass Kinder oft in der Schule mit Daten aus veralteten Schulbüchern konfrontiert werden.

Auch trägt eine einseitige Form der Berichterstattung durch die Medien viel zur Mythenbildung bei. Diese drei ungenauen Informationsquellen sowie – besonders – unsere Intuition erschweren es uns, ein klares, objektives Bild von einem Sachverhalt zu gewinnen.

Die Intuition ist ja „die Fähigkeit, Eigenschaften und Emotionen in Sekundenbruchteilen unbewusst oder bewusst komplex und instinkthaft zu erfassen (Wikipedia)“, also jene menschliche Eigenschaft, die es uns erlaubt, aus dem Bauch heraus, ohne lang nachzudenken, eine Entscheidung zu treffen. Das war zwar in grauer Vorzeit eine überlebenswichtige Fähigkeit (und ist es auch heute noch!), hindert uns aber nicht selten daran, neue Einsichten auf der Basis von Fakten zu gewinnen. (Diese Erkenntnis nutzen inzwischen erfolgreiche Populisten wie Donald Trump etc. gewinnbringend und setzen bevorzugt auf „intuitive Botschaften“, die das Bauchgefühl ansprechen und mit Fakten nichts zu tun haben!)

Der unermüdliche Aufklärer Hans Gösta Rosling erlag am 7. Februar 2017 mit nur 68 Jahren einem aggressiven Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sollten Sie diesen interessanten Mann bisher noch nicht gekannt haben, dann nehmen Sie doch seinen Tod zum Anlass, um sich mit seinem Nachlass in Form von Videos auf gapminder.org, YouTube.com oder TED.com zu beschäftigen. Sie werden nicht nur Hochinteressantes für Ihren Unterricht dort finden, sondern wahrscheinlich auch die Welt mit etwas anderen Augen sehen!

 

Weitere Informationen

 

<rw>

[1] Richtige Antworten: 1C, 2A, 3C
www.ted.com/talks/hans_and_ola_rosling_how_not_to_be_ignorant_about_the_world