Die Mehrheit der Deutschen will, dass „Leistungen von Schülern mit Noten bewertet werden“, schrieb rechtzeitig zu Anfang des neuen Schuljahres die DPA[1]. Zur gleichen Zeit wusste der ORF[2], dass viele Studien belegen, dass „Noten wenig Information geben, unzureichend und ungerecht sind“.
Im Schweizer Kanton St. Gallen scheiterte der Versuch der Schulbehörde, die beiden schlechtesten Schulnoten (1 und 2) abzuschaffen. Und „Der Spiegel[3]“ forderte Ende August auf der Titelseite, „die Kinder freizulassen“ und sich in der Schule auf das zu konzentrieren, worauf es wirklich im Leben ankomme. Für die Massenmedien ist es Tradition, gegen Anfang und Ende des Schuljahres schulische Themen aufzugreifen. Im Spätsommer 2016 war es vor allem die Schulnotendiskussion, die gleich mehrere Medien aufs Tapet brachten.
„Besser ein Fünfer als gar keine persönliche Note“, so lautete ein flapsiger Spruch in den 70er Jahren, mit dem wir uns als Jugendliche zu trösten versuchten, wenn einmal eine Prüfung oder eine Schularbeit danebengegangen war.
Über Sinn und Unsinn der Schulnoten wurde damals nicht breit diskutiert, denn der große Mensch hinter dem Pult galt noch als absolute Autorität, der die Noten vielleicht „streng, aber gerecht“, manchmal auch „menschlich“, nicht selten aber auch ungerecht vergab.
Der lehrerzentrierte Unterricht konzentrierte sich auf die Vermittlung von Wissen, und wer als Schüler/in die in den Stunden zuvor gehörten Inhalte zu einem späteren Zeitpunkt gut reproduzieren konnte, wurde dafür mit einer guten Note belohnt – oder bei Versagen mit einer schlechten bestraft. Nur wenige kritische Menschen, politisch meist eher links orientiert, zweifelten damals an der Aussagekraft der sakrosankten Schulnoten.
Inzwischen ist es einfacher geworden, darüber zu diskutieren, wie Leistung adäquat beschrieben und beurteilt werden könnte. An vielen Schulen – auch an Österreichs Volksschulen – bemühen sich die Lehrerinnen und Lehrer um eine besser funktionierende, alternative Form der Beurteilung von Leistung und Kompetenzen. Denn es ist an sich höchst fragwürdig, mit fünf – oder auch mehr – Stufen das beschreiben zu wollen, was ein junger Mensch in einem Jahr geleistet und wie er sich entwickelt hat.
Wenn ein populistischer Politiker eines Nachbarlandes[4] meint, dass „Noten sowohl für höhere Schulen als auch für Unternehmer ein klares Kriterium“ seien, dann heißt das nicht viel – außer dass er sich mit dem Thema nicht intensiv befasst hat. Denn was soll an einer Schulnote ein „klares Kriterium“ wofür sein? Bemühungen um andere, besser greifende Formen der Beurteilung kanzelt er ab als Bestrebungen der „Linken …, die in naiver Romantik einer Gefälligkeitspädagogik den Weg ebnen wollen.“
Doch weiß dieser Abgeordnete die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, denn nach einer aktuellen Umfrage des Magazins „Der Spiegel“ glauben drei Viertel aller Eltern, dass Schulnoten „sehr stark oder stark über Erfolg im späteren Leben bestimmen“. Was viele Jahrhunderte – und für einen selber – galt, muss richtig sein und wird nicht infrage gestellt.
Bildungssysteme erstarren jedoch meist, wann und wo immer Schule zum Spielball der Parteipolitik wird und es in der Diskussion eigentlich nicht mehr um die Bildung geht, sondern darum, wer sich gegen wen durchsetzt. Und leider ist es nicht nur in Österreich so, dass Parteien häufig über Jahrzehnte bestimmte Positionen besetzen und daher auch pädagogisch sinnvolle Vorschläge ablehnen, nur weil sie von der gegnerischen Seite kommen.
Alternativschulen tun sich in dieser Hinsicht leichter, weil sie unabhängig von der Politik agieren können. Die Pädagog/innen an den Waldorfschulen (vgl. Anhang!) produzieren z. B. alljährlich ellenlange Beschreibungen mit detaillierten und wertschätzenden Rückmeldungen für jeden einzelnen Schützling.
Wer einmal einen solchen mehrseitigen Beurteilungsbogen gesehen hat, weiß, dass enorm viel Aufwand dahintersteckt, und erkennt andererseits, wie aussagekräftig und präzise diese umfangreiche Art des Feedbacks ist, vergleicht man sie mit einem herkömmlichen Jahreszeugnis. Und außerdem wird klar, dass das Vergeben von schlichten Noten im Verhältnis dazu wesentlich ökonomischer ist und einen minimalen Aufwand darstellt.
Die Notengebung ist an Europas Schulen aufgrund unterschiedlicher Traditionen sehr heterogen und deswegen nicht leicht vergleichbar. Ein über Wikipedia[5] publizierter Vergleich belegt, wie vielfältig sie gehandhabt wird.
In der Schweiz und in Bulgarien ist z. B. – anders als in Deutschland – jeweils eine „6“ die beste und eine „1“ die schlechteste Note, wobei bulgarische Lehrer/innen eine „1“ offenbar nie vergeben. Stattdessen bekommen bulgarische Schüler eine „2“, wenn ihre Leistung „ungenügend“ war.
Besonders demotivierend muss das italienische 11-Stufen-System sein, wohl nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Pädagoginnen und Pädagogen. Denn es gibt nur fünf positive Stufen, aber sage und schreibe sechs negative, die so formuliert sind: 0: „nicht bewertbar“, 1: „extrem unzureichend“, 2: „entschieden unzureichend“, 3: „sehr unzureichend“, 4: „unzureichend“, 5: „nicht genügend“. Spannend ist in diesem Zusammenhang der Vorstoß des Südtiroler Bildungslandesrats vom Frühsommer 2016, seinen Schulen per Gesetz zu gestatten, die bisher gängige 11-stufige Beurteilungspraxis aufzugeben und dafür selber sinnvollere kompetenzorientierte Bewertungsmodelle zu entwickeln.
Noten sind nicht alles!
Rechtzeitig vor Schulbeginn zeigte das Magazin „Der Spiegel“ auf der ersten Seite ein lachendes Kind beim Spielen und titelte: „Lasst die Kinder frei! Noten sind nicht alles: Worauf es im Leben ankommt“.
Die Autorin Kerstin Kullmann versucht in ihrem Artikel zur Notendiskussion das zu beschreiben, worauf es ihrer Meinung nach ankommt und was wesentlich wichtiger für ein erfolgreiches und glückliches Leben als eine Schulnote ist.
Sie lässt dafür Expertinnen und Experten aus dem Bildungsbereich und andere erfolgreiche Menschen zu Wort kommen, die trotz schwacher Schulnoten sehr viel erreicht haben. Fazit: Schulnoten sind wenig aussagekräftig für das spätere Leben und sagen rein gar nichts über die sozialen Kompetenzen, über die Begeisterungsfähigkeit und die Neugierde eines jungen Menschen aus.
Denn „sie sind lediglich ein Indikator für eine gute Konzentrationsfähigkeit[6]“. Und nur 15% einer Note werden von der Intelligenz bestimmt, weiß Prof. Julius Kuhl von der Universität Osnabrück, denn genauso wichtig sind Faktoren wie die Beziehung zur Lehrperson sowie der Bildungsgrad der Eltern.
Schlechte Noten sind daher kein Beleg für mangelnde Intelligenz, denn sie können auch dadurch bedingt sein, dass ein Kind Eltern hat, für die Bildung keinen besonderen Wert darstellt und die ihr Kind nicht fördern.
Wie wenig Noten aussagen und welch falsches Bild sie von einem jungen Menschen zeichnen können, wurde dem Autor dieser Zeilen erstmals nach etwa 15 Jahren Unterrichtspraxis deutlich vor Augen gehalten, als er im Zug einen ehemaligen Schüler traf, an den er sich so gut erinnerte, weil der im Unterricht immer sehr schweigsam und passiv war und in allen Fächern all die Jahre überwiegend schlechte Noten hatte. Und der trotzdem danach in kürzester Zeit BWL studiert hatte, in seiner Gemeinde politisch aktiv war und es inzwischen zum Geschäftsführer einer bekannten Firma gebracht hat. All das hätte diesem mundfaulen Burschen während seiner Schulzeit wohl keiner aus dem Kollegium zugetraut, und doch…
Die Geschichte der Notengebung in Österreich
Wenn Sie sich für die Geschichte der Notengebung in Österreich interessieren, verweisen wir Sie auf Bernhard Hemetsbergers Buch hin:
- Hemetsberger, Bernhard; Nicht Genügend … Setzen!; Lit Verlag, 2016;
ISBN 978-3-643-50694-8
Auszug aus dem Jahreszeugnis einer Waldorfschule, 6. Schulstufe
Deutsch
Die Grammatik, insbesondere die Formen des Konjunktivs, wurde zunächst gezielt geübt und kam in einer Gruppenarbeit als Krimi zur selbständigen Anwendung. Das Stilempfinden wurde über das Lesen der Lektüre des „Kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint-Exupery, das Sprechen von Balladen und die Betrachtung des Satzgefüges geweckt. In Diktaten wurde die Aufmerksamkeit auf die Rechtschreibung gelenkt. Peter zeigte noch wenig Eigenständigkeit im Erfassen grammatikalischer Strukturen und schien oft den Gedankengängen nicht zu folgen. Seine Texte waren meist sehr kurz und oft Iückenhaft verfasst. (NN)
Englisch
Nur phasenweise gelang es Peter, seine Aufmerksamkeit auf den Englischunterricht zu lenken. So blieben für ihn such die Vergangenheitsformen des Verbes, die Bildung von Frage und Verneinung und die Steigerungsformen der Adjektive recht unklar und er benötigte intensive Unterstützung, um Aufgaben mit diesen Formen im Ansatz lösen zu können. Peter sollte sich bemühen, die bereits entstandenen Lücken durch konsequente Nacharbeit zu schließen. (NN)
Französisch
Die Lektüre La Belle-Aventure stand thematisch im Mittelpunkt des Unterrichts. Daran schlossen sich vielfaltige Dialogübungen an sowie intensive Vokabel- und Grammatikarbeit. Peter hatte es schwer mit der französischen Sprache. Aussprache und Rechtschreibung waren große Herausforderungen für ihn und infolgedessen lernte er auch die Vokabeln nicht so einfach. Das wiederum erschwerte ihm auch das Textverständnis der Lektüre und das Verfolgen des Unterrichtsgesprächs. Peter wird im nächsten Jahr in der kleinen Lerngruppe mehr Möglichkeiten finden, in seinem Lerntempo zu arbeiten und seine Fragen zu stellen. Ich wünsche Peter, dass er dort neuen Mut fassen wird! (NN)
<rw>
[1] www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/die-meisten-buerger-befuerworten-schulnoten-und-sitzenbleiben-14415334.html abgerufen am 4. 10. 2016
[2] http://orf.at/stories/2356104/2356103 abgerufen am 4. 10. 2016
[3] Der Spiegel. Bd. 35. 27.8.2016 (S. 98)
[4] www.suedtirolnews.it/suedtirol-lokal/warum-schulnoten-abschaffen
abgerufen am 4.10.2016
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Schulnote abgerufen am 4. 10. 2016
[6] Rektor Wolfgang Herrmann, TU München. Der Spiegel. Bd. 35. 2016. S. 98