In einer Zeit, in der sich immer wieder kritische Stimmen erheben, die nachdrücklich fordern, dass Schule doch endlich mehr wirtschaftsorientiert sein möge, und die Begriffe wie Bildung und Ausbildung gerne miteinander verwechseln, hat der deutsche Soziologe Hartmut Rosa ein bemerkenswertes Buch herausgebracht, in dem er uns seinen Bildungsbegriff und die von ihm begründete „Resonanzpädagogik“[1] präsentiert.
Es ist ein einfach zu lesendes, liebevoll aufgemachtes Buch, in dem sich der Professor für Soziologie mit dem Lehrer Wolfgang Endres über seine Vorstellungen von Bildungsprozessen unterhält:
Endres stellt die Fragen, Rosa antwortet. Und für die Leserin und den Leser stellen sich diese Form der Darbietung als leicht zugänglich und unterhaltsam dar.
Im Mittelpunkt seiner Resonanzpädagogik sieht der Autor den Begriff „Anverwandlung“. Das bedeutet viel mehr als sich lediglich etwas zu eigen machen bzw. einen Inhalt zu lernen, um ihn zu verstehen und reproduzieren zu können. Denn es genügt seiner Ansicht nach nicht, Wissen nur oberflächlich zu erwerben und Dinge zu beherrschen. Erst wenn wir mit den Dingen in eine Beziehung treten und sie uns so zu eigen machen, dass sie uns verändern, trifft der Begriff Anverwandlung zu.
Resonanz unterscheidet sich vom Begriff Kompetenz dadurch, dass Hartmut Rosa letzteren Begriff als bloße Aneignung einer Sache definiert. (Was übrigens nicht gängigen Definitionen von Kompetenz entspricht.)
Die Resonanzpädagogik will aber beim Lernenden, wie oben angesprochen, wesentlich mehr bewirken, und zwar das „prozesshafte In-Beziehung-Treten mit einer Sache“.
Der Soziologe ist überzeugt, dass es die Idee von Bildung ist, die „Welt für die Subjekte zum Sprechen zu bringen oder in Resonanz zu versetzen.“
Daher fordert er, dass Schule „zum Resonanzraum“ (S. 20) wird, was nur über die Ebene der Sozialbeziehungen geht. Denn „dort, wo sich Menschen unverstanden fühlen, ist auch keine Resonanz“ (S.21).
Mehrmals vergleicht er die im Bildungsprozess Beteiligten mit Instrumenten, die jeweils in ihrer eigenen Sprache gemeinsam zum Tönen gebracht werden sollen, um zu erklingen. Resonanz sieht er dabei freilich nicht nur auf die Schule beschränkt, sondern als optimale „Grunddisposition der Welt insgesamt gegenüber“.
Rosa legt Wert darauf, dass Resonanz nicht als esoterisches Phänomen verstanden werden soll, sondern dass es viel mehr ein z. B. am Hautwiderstand oder an der Atemfrequenz messbarer Zustand sei.
Dass Resonanz entstanden ist und es im Klassenzimmer „knistert“, erkennt man, so der Soziologe, z. B. an auch den leuchtenden Augen der Kinder und Jugendlichen. Als Beispiel führt er eine Szene aus dem Film „Der Club der toten Dichter“ an, in der der von Robin Williams gespielte Lehrer, Mr. Keating, auf das Pult klettert, um von dort aus seinen Schülern zu erklären, dass man immer, wenn man glaubt, eine Sache gut zu kennen, seine Perspektive ändern sollte.
Durch Mr. Keating erfahren die Jugendlichen, dass selbst eine intensive Auseinandersetzung mit Lyrik die Welt verändern kann. Und indem „Lyrik hier zu sprechen beginnt, ändern sich auch die Sozialbeziehungen in der Klasse“ (S. 43), denn die beteiligten Menschen verändern sich.
„Bildung bedeutet nicht, die Welt zu beherrschen, sondern seine Beziehung zur Welt zu verändern“ (S. 44).
Rosas Resonanzpädagogik ist geprägt von einem zutiefst menschlichen und demokratischen Ansatz, der von gelungener Kommunikation, Partizipation und gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist, damit Schule zum Resonanzraum und nicht zur „Entfremdungszone“ wird, wie das so oft der Fall ist.
Das Werk ist nicht nur für Neulehrerinnen und –lehrer empfehlenswert, sondern auch für erfahrene Pädagoginnen und Pädagogen.
(…) Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand? (…)
(Liebeslied, Rilke)
Das Buch
- Rosa, Hartmut; Endres, Wolfgang; Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert ; Beltz Verlag, 2016; ISBN 978-3-407-25751-2
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[1] Hartmut Rosa, Wolfgang Endres: Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer
knistert. Beltz Verlag. 2016 (S. 18)