Die 2000er Jahre: Das Jahrhundert des Misstrauens?

Lügenpresse?

Eine aktuelle Studie des bayrischen Rundfunks belegt, dass eine deutliche Mehrheit der Deutschen „Nachrichtenmedien für gelenkt und für Stützen des Establishments“ halten, die abhängig sind vom Einfluss der Politik und der Wirtschaft. Nur staatlichen Medien und einigen Wochenmagazinen traut man noch zu, die Rolle der kontrollierenden „vierten Gewalt“ im Staat auszuüben und kritisch über das „System“ zu berichten[1].

Stattdessen vertrauen immer mehr Menschen dem, was sie über diverse soziale Medien von anderen Anwenderinnen und Anwendern erfahren bzw. was diese dort „teilen“. Und lesen wir in Facebook etwas, das uns bewegt, aufregt oder empört, ist es wiederum sehr einfach, diese Nachricht mit anderen zu teilen.

Die Gefahr bzw. die Wahrscheinlichkeit dabei, einer Falschmeldung aufzusitzen und diese weiterzuverbreiten, ist jedoch in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen.

Wem können wir heute noch trauen?

Wir wissen: Wer sich im Internet oder in den sozialen Medien wie z. B. Twitter auf die Suche nach Informationen begibt, kriegt eine Unmenge von Ergebnissen, doch ist es mittlerweile alles andere als einfach herauszufinden, ob diese qualitätsvoll sind oder nicht bzw. echt oder gefälscht.

Das betrifft jede Art von Information, seien es nun Texte, Bilder oder Videos.

Daher müssen wir uns fragen, wem man in der virtuellen Welt noch trauen darf bzw. kann. Denn fast alles kann gefälscht werden und manipulierte Informationen zu erkennen ist nicht immer einfach, sondern oft zeitaufwändig und schwierig.

Grundsätzlich muss man, schreibt Bernd Oswald[2] vom „Upload-Magazin“, beim Thema Fälschung zwischen falschen Identitäten und falschen Inhalten unterscheiden.

Manipulierte Konten bzw. Identitäten

Es ist simpel, sich z. B. auf Facebook oder Twitter eine Weile lang für eine prominente Person auszugeben, sei es z. B. Angela Merkel, Barack Obama oder Donald Trump. Und für Laien war es lange Zeit problematisch zu entscheiden, welches Konto denn echt oder falsch ist.

Daher verifiziert[3] z. B. Twitter nun die Konten von wichtigen Personen und kennzeichnet sie durch einen weißen Haken in einem blauen Kreis. Das erleichtert einiges, doch muss man das als Anwender/in erst einmal wissen. Dass – nicht nur bei Twitter – Anwender mit bösen Absichten unter anderen Namen irgendwelche Konten eröffnen, ist kaum zu verhindern. Darauf hereinfallen wird jedoch – meist – nur jemand, der sich unkritisch und zu vertrauensselig ins Netz begibt.

Gefälschte Inhalte – woran erkennen wir sie?

Ein weitaus größeres Problem als falsche Konten stellen gefälschte Inhalte dar, die aus unterschiedlichen Motiven publiziert werden. Ein Beispiel: Ende des Jahres 2014 kursierte in den sozialen Medien erstmals die Nachricht, dass sich der Bürgermeister einer kanadischen Stadt geweigert hatte, Schweinefleisch aus den Schulkantinen zu verbannen, weil das angeblich moslemische Bürger verlangt hatten.

Rund um den Globus und über viele Monate wurde das Schreiben eifrig verteilt und kommentiert. Selbst kritische und medienkundige Menschen fallen mitunter auf solche Fälschungen herein.

„Genau: So muss das sein!“ Postete ein angeblicher Medienexperte.

Muslimische Eltern haben gefordert, Schweinefleisch aus den Schulkantinen zu verbannen. Der Bürgermeister von Dorval, eines Vororts von Montreal, verweigerte sich diesem Ansinnen und erklärte in einem Rundbrief an alle muslimischen Eltern, warum er das tat: „Muslime müssen begreifen, dass sie sich an Kanada und Quebec anzupassen haben. Sie müssen begreifen, dass sie ihren Lebensstil ändern müssen, nicht die Kanadier, die sie so großzügig aufgenommen haben.

Sie müssen begreifen, dass die Kanadier weder rassistisch, noch xenophob sind. Die Kanadier haben viele Immigranten vor den Muslimen akzeptiert. (Umgekehrt ist das nicht der Fall. Kein muslimischer Staat akzeptiert nicht-muslimische Immigranten).

Genau wie andere Nationen, sind die Kanadier nicht bereit, ihre Identität und ihre Kultur aufzugeben. (gekürzt, RW[4])

Einige seiner Facebook-Freunde stimmten seinem Kommentar durchaus zu, andere hingegen waren verärgert darüber – und viele hielten sich vornehm zurück.

Darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um eine Falschmeldung handele, schrieb der Verfasser, dass es ihm leid tue, diese verteilt zu haben, dass er sich jedoch mit dem Inhalt durchaus identifizieren könne. Und entfernte seinen Eintrag ein paar Tage später.

Quellen beurteilen

Nun war es in diesem Fall nicht besonders schwierig zu eruieren, ob es das kanadische Schreiben tatsächlich gegeben hatte oder nicht. Der erste Hinweis auf eine mögliche Falschmeldung war die fragwürdige Quelle.

Der Mann, der den Artikel publiziert hatte, war ein unbekannter Facebook-Benutzer und somit keine verlässliche Quelle wie z. B. ein Journalist, eine Tageszeitung oder ein anderes vertrauenswürdiges Medium. Aus seinen mit anderen geteilten Inhalten war außerdem unschwer zu erkennen, dass er rechtspopulistische Gruppierungen und Parteien wie Pegida und AfD schätzt: ein klares Indiz für eine manipulative Meldung (siehe Link auf ARD-Video weiter unten)!

Um die Herkunft des Texts herauszufinden, googelt man Begriffe wie „dorval mayor muslims hoax“ oder „dorval mayor pork“ und erhält von der Suchmaschine gleich mehrere brauchbare Informationen an oberster Stelle.

So stand in ein paar Minuten fest: Es gab weder einen Brief von muslimischen Bürgern an diesen Bürgermeister, noch vertritt er die ihm zugeschriebene Auffassung. Und um diese Falschinformationen zu entkräften, publizierte der Politiker im Januar 2015 auf seiner offiziellen Internetseite[5] eine Aussendung, in der er die Öffentlichkeit aufklärte, dass sämtliche Details unwahr seien.

Seine Recherchen hätten ergeben, dass es sich um ein Schreiben handle, dessen Ursprung sich nicht genau bestimmen ließe, das aber bereits im Jahr 2013 aufgetaucht sei und damals offenbar in Belgien angesiedelt war.

Wie wissen wir, ob Inhalte stimmen oder nicht?

Es gibt mehrere gute Möglichkeiten, um den Wahrheitsgehalt von Meldungen wie der oben angeführten zu überprüfen und Licht ins Dunkel zu bringen. Kobuk (www.kobuk.at) ist z. B. eine sehr nützliche österreichische Seite, betrieben von Studierenden der Uni Wien, die über die Verbreitung von Gerüchten und stimmungsmachende Beiträge in den österreichischen Medien aufklärt.

Aber auch „Hoax-Portale“, wie z. B. die deutschsprachige Seite hoaxmap.org, stellen einander Fakt und Fiktion gegenüber. Dieses Internetangebot entlarvt und katalogisiert vor allem Falschmeldungen zum Thema Flüchtlinge.

Und die TU Berlin[6] betreibt seit 2009 eine Seite, die sich mit Falschmeldungen, Kettenbriefen, Phishing-Mails, Trojanern etc. befasst und hilfreich dabei ist, Fake-Nachrichten zu erkennen. Daneben gibt es noch mehrere englischsprachige Angebote[7], die gefälschte Nachrichten und Bilder – auch „hoaxes“ genannt – publizieren.

Und wir erkennen: Während es früher genügte, zwei oder drei Tageszeitungen zu lesen, um sich als kritischer Mensch eine ausgewogene Meinung zu einem Thema zu bilden, ist es inzwischen trotz kürzerer Wege und enormem medialen Angebot aufwändiger geworden, Fakt von Fiktion und Stimmungsmache zu trennen.

Das Internet als großer Müllhaufen

Schon in der Frühzeit des WWW, also vor rund 15 Jahren, desillusionierte der renommierte Wissenschaftler Joseph Weizenbaum Internet-Enthusiasten mit seiner Ansicht, dass „das Netz letztlich ein großer Müllhaufen sei, ein Massenmedium, das zu 95% aus Unsinn besteht“.

Gerade die letzten Jahre belegen, wie recht er hatte, denn nie zuvor gab es online so viel Müll, weil speziell Plattformen wie Facebook und WhatsApp der Manipulation Tür und Tor öffnen und jede/r darüber leicht Dinge verbreiten kann, um Stimmung zu machen und leichtgläubige Menschen zu täuschen. Vergessen wir also nicht: Die „sozialen Medien“ haben nicht nur Vorteile!

Vom frühen Internet unterscheidet sich das heutige dadurch, dass man Nachrichten nicht mehr suchen muss, sondern dass sie quasi zu uns kommen, weil wir sie – direkt oder indirekt – abonniert haben, indem wir Anbieter „liken“ oder ihnen „folgen“.

Bezögen wir Nachrichten ausschließlich von verlässlichen Quellen, wie z. B. www.apa.at, www.orf.at und www.wienerzeitung.at etc., würden wir nicht so leicht auf Falsches hereinfallen – außer ein/e Journalist/in hätte nicht oder unsauber recherchiert und dadurch eine Fake-Meldung verbreitet!

Manipuliert werden wir vor allem dadurch, dass wir Informationen unkritisch aufnehmen, deren Ursprung wir nicht beachten. Die Devise muss also heute lauten:
„Ad fontes“, zu den Quellen!

Verteilt also eine Facebook-Bekanntschaft einen fragwürdigen Text oder ein Bild, ist zu prüfen, wer den Text oder das Bild wann für wen und mit welcher Absicht verfasst hat und ob ein Text von einer vertrauenswürdigen Quelle, z. B. einem renommierten Medium, stammt oder von einer privaten Internetseite einer unbekannten Person. Denn nur der kritische Umgang mit Quellen kann uns heute davor schützen, manipuliert zu werden und auch davor, falsche Meldungen mit seinem Freundeskreis zu teilen.

Lügen wie gedruckt?

Wir lernen, dass gängige Redewendungen wie „lügen wie gedruckt“ oder etwas „schwarz auf weiß“ zu haben, nicht unbedingt mehr zutreffen müssen, somit nicht mehr zeitgemäß sind. Printmedien sind Online-Lexika und Online-Nachrichten eindeutig vorzuziehen, da allein der Aufwand – und die damit verbundene Qualitätskontrolle, die hinter einem sorgfältig erzeugten Druckerzeugnis steckt –, diesem mehr Gewicht und Glaubwürdigkeit verleiht als jedem Bildschirmtext, der „schwarz auf weiß“ abgebildet ist und dennoch erstunken und erlogen sein kann.

Jemand, der einen Zeitungsartikel oder ein Bild für seine Zwecke verändern will, benötigt keine besonderen Kenntnisse oder Fertigkeiten. Inzwischen gibt es Internetseiten wie „Clone Zone“ und billige Apps für die Bildmanipulation, die frei zugänglich sind und nichts oder fast nichts kosten. Und damit können Otto Normalverbraucher, Eva Müller u. a. ohne jegliche Programmkenntnisse den Text von beliebigen Webseiten im Browser verändern, als PDF abspeichern und dann über WhatsApp und Co. als Meldung eines bekannten Mediums verteilen. Und das ohne jede Gefahr, denn Pseudokonten lassen sich leicht erstellen und ohne weiteres wieder löschen.

Menschen mit extremen politischen und/oder religiösen Anschauungen verbreiten immer öfter gefälschte Nachrichten im Kleid von Qualitätsmedien und schleusen diese in die sozialen Medien ein, wo sie dann von Gesinnungsgenossen und – später – von leichtgläubigen Menschen per Mausklick „geteilt“ werden. Anders als früher erreichen damit Extremisten ohne besonderen Aufwand ein großes Publikum und bringen ihre kruden Anschauungen unters Volk.

Wie das ARD-Video „Gerüchte-Lügen-Meinungsmache[8] vor kurzem aufzeigte, nutzten auch bekannte deutsche Organisationen in der jüngeren Vergangenheit immer wieder manipulierte Nachrichten zur Stimmungsmache.

Darum ist es wichtig, wie auch der Lehrplan verlangt, an den Schulen die jungen Menschen „zu kritischem und kreativem Denken und verantwortungsvollem Handeln“ zu befähigen und ihnen als Rüstzeug ein breites Spektrum an kognitiven und praktischen Fähigkeiten mitzugeben, damit sie solchen Verführern und Manipulierern nicht auf den Leim gehen und sich Informationen kritisch beschaffen können. Gebildete junge Menschen, die über einen kritischen Verstand verfügen, sind die beste Voraussetzung für eine gut funktionierende Demokratie!

 

Interessant für

  • Sprache und Kommunikation; Gesellschaft, Kunst und Kultur; Wirtschaft;

 

<rw>

[1] http://goo.gl/ycfa9I abgefragt am 4. 5. 2016

[2] upload-magazin.de/blog/12654-fakt-oder-fake-wie-man-falschmeldungen-im-netz-entlarvt
abgefragt am 4. 5. 2016

[3] support.twitter.com/articles/313322 abgefragt am 4. 5. 2016

[4] Das „Originalschreiben“:
www.facebook.com/supportersforberlin/posts/903981976289473 abgerufen am 4. 5. 2016

[5] http://tinyurl.com/pv39yzn  abgerufen am 4. 5. 2016

[6]  http://hoax-info.tubit.tu-berlin.de/hoax abgerufen am 4. 5. 2016

[7]  www.hoaxbusters.org, http://hoaxes.org, www.hoax-slayer.com  abgerufen am 4. 5. 2016

[8]  http://goo.gl/IP8qrO abgerufen am 5. 5. 2016