Wachstum ohne Ende?

Wachstum 2

Der österreichische Nationalökonom und Philosoph Leopold Kohr verwies bereits in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts darauf hin, dass „klein schön ist“ („small is beautiful“). Damals erklärte er einer eher bescheidenen Gruppe von Interessierten, dass unser Wohl keineswegs im permanenten wirtschaftlichen Wachstum begründet liege, sondern vor allem in der Rückkehr zum menschlichen Maß. Denn „die Größe – und nur die Größe! – ist das zentrale Problem der menschlichen Existenz, im sozialen und im physischen Sinn[1].

Dass er als Ökonom wegen dieser Ansichten als „Spinner“ bezeichnet wurde, störte ihn nicht besonders, da es seine akademische Karriere nicht behinderte. In der Geschichte fand er außerdem genügend Hinweise für seine These, dass es letztlich stets zu groß gewordene Dinge waren, die Probleme verursachten.

Oder darauf, dass Konflikte zwischen einzelnen Machthabern im Mittelalter zwar für die betroffenen Menschen tragisch waren, dass es sich dabei aber – im Vergleich zu den Kriegen des 20. Jahrhunderts – um relativ begrenzte Auseinandersetzungen handelte. Vor wenigen Jahren wurde Kohrs These ein weiteres Mal belegt: der Zusammenbruch der international tätigen US-Bank „Lehman Brothers“ im Jahr 2008 hatte katastrophale Auswirkungen rund um die Welt als Folgeerscheinung.

Mit den gewaltigen Nachteilen des fortwährenden Wachstums in unserer globalisierten Welt befasst sich auch Marie-Monique Robin in ihrer Dokumentation „Wachstum, was nun?“[2].

Die Recherchen dafür fanden an unterschiedlichsten Orten rund um die Welt statt, u.a. in den USA, Kanada, Brasilien, Argentinien, Nepal, Dänemark, Deutschland usw. Das Ergebnis ist ein lehrreicher Film, der den Zuschauer eher trist stimmt und fassungslos über manche Zustände macht, der aber andererseits eine Reihe von mutigen Initiativen vorstellt, die sich der fortschreitenden Globalisierung mitsamt ihren Nachteilen erfolgreich in den Weg stellen.

Die Grenzen des Wachstums

Zwar rechnen noch viele Wissenschaftler mit einem dauerhaften Wirtschaftswachstum, doch gibt es genügend Anzeichen dafür, dass sich die Verhältnisse mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts grundlegend geändert haben.

Denn drei Faktoren, so der amerikanische Autor Richard Heinberg[3], dürften in den westlichen Ländern das bisher gekannte Wachstum verhindern: das sind erstens die hohen Erdölpreise (der derzeit niedrige Preis wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht halten), zweitens die steigenden Kosten der Umweltbeeinträchtigung durch die Industrie und drittens das – grenzenlose, aber falsche – Vertrauen ins Schuldenmachen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Heinberg zur Filmerin Robin: „Wer an ein unendliches Wachstum glaubt, ist entweder verrückt oder ein Wirtschaftswissenschaftler.“

Urbane Landwirtschaft

Zwei spannende Beiträge befassen sich in diesem Abschnitt mit der nachhaltigen Nahrungsmittelversorgung durch „city farming“.

Die Großstadt Toronto muss für ihre sechs Millionen Einwohner sehr viel Obst und Gemüse aus dem 4.000 km entfernten Mexiko importieren, könnte aber 30% des Bedarfs selbst decken. Deswegen fördert sie seit 20 Jahren entsprechende Projekte und ist erfolgreich dabei: Es gibt inzwischen 4.000 private Gemüsegärten und 120 Gemeinschaftsgärten, die nicht nur dazu beitragen, den Eigenbedarf an – gesundem – Obst und Gemüse zu decken, sondern auch den Klimawandel zu verlangsamen und bei allen Beteiligten ein positives Gemeinschaftsgefühl zu schaffen.

Ein anderes gelungenes Modell ist das Landwirtschaftsprojekt der argentinischen Millionenstadt Rosario. Es gilt inzwischen weltweit als Vorzeigebeispiel für urbane Landwirtschaft, denn die Stadtbewohner bauen auf städtischem Boden ihr Obst- und Gemüse in mehr als 300 Gärten an.

Nach einer Wirtschaftskrise im Jahr 2000 beschloss man eine nachhaltige und solidarische Stadt zu werden und aktiv gegen den Klimawandel etwas zu unternehmen. Ein schöner Nebeneffekt der Initiative ist, dass in den Gärten heute viele Lehrlinge eine Ausbildungsstätte finden.

Alternativenergie in der Dritten Welt

Hochinteressant und für den Laien unerwartet ist auch die geplante Energieversorgung des Himalayastaates Nepal. Dieses arme und teilweise sehr schlecht erschlossene Land soll ausschließlich mit erneuerbaren Energien elektrifiziert werden.

Am Beispiel des mittlerweile autarken Ortes Kandebas, 350 km von Katmandu entfernt, zeigt die Filmemacherin auf, wie nachhaltig dort mit einfachen Mitteln ein autonomes und resilientes System geschaffen wurde, das alle Einwohner der Ortschaft am neuen Wohlstand teilhaben lässt.

Wie es dazu gekommen ist? Noch bis 2009 gab es keinen Strom. Durch den Bau und Betrieb eines kleinen Wasserkraftwerkes mit einer Mikroturbine, an dem sich alle Familien beteiligten, wurden jedoch mehrere neue Arbeitsplätze geschaffen. Das Mikrokraftwerk ist inzwischen abbezahlt und die Einheimischen haben beschlossen, den dort erwirtschafteten Gewinn z.B. in die Bildung zu stecken. Außerdem wurden die Bauernhöfe der Ortschaft mit Biogasanlagen ausgestattet und nutzen das damit gewonnene Methangas in den Küchen, tragen die Rückstände als Biodünger auf den Feldern auf und bewirken dadurch, dass weniger Methangas in die Luft gelangt. Eine Million nepalesischer Haushalte verwendet heute erneuerbare Energie!

Um aufzuzeigen, wie profitabel die Erzeugung von alternativer Energie inzwischen sein kann, führt uns die Regisseurin auf die energie-autarke dänische Insel Samsö, auf der ein Bauer mit seiner Windenergieanlage inzwischen mehr verdient als mit seinen Kühen.

Für viele Probleme gäbe es inzwischen alternative Lösungen, so die Filmemacherin, denn es ist heute meist kein technologisches, sondern vor allem ein menschliches Problem, gegen das es gilt aufzutreten.

Ein Problem sei es grundsätzlich, dass „die da oben“ sich mit Nachdruck weigern, auf „die da unten“ zu hören! In den letzten Jahrzehnten sind z.B. die Finanzsysteme weltweit enorm gewachsen und zu globalen Spielern geworden – und deswegen sträuben sich speziell viele Großbanken gegen jede Form der Veränderung!

Trotzdem gibt es auch in diesem Bereich einige aufregende Ansätze, die an das Schwundgeldexperiment des Wörgler Bürgermeisters Michael Unterguggenberger[4] in den 30er Jahren erinnern. Zwei davon stellt Robin in ihrer Doku vor: In der brasilianischen Stadt Fortaleza gründeten 1998 die Bewohner eines Stadtteils eine Gemeinschaftsbank und führten eine lokale Währung ein, den Palmas. Diese bringt den Käufern eine fünfprozentige Gutschrift bei Einkäufen im Viertel. Nach 15 Jahren Erfahrung weiß man, dass auch mehr Arbeit, mehr Wohlstand und eine positive Weiterentwicklung die Folgen der Initiative waren. Heute kaufen dort 93% der Bewohner regelmäßig mit lokalen „Palmas“ ein und fördern damit die Wirtschaft in der Umgebung.

Traunstein wird Wörgl

Doch nicht nur in Südamerika, auch in unseren Breitengraden, und zwar im bayrischen Traunstein, gibt es seit zehn Jahren ein ähnliches Lokalwährungs-Projekt: den „Chiemgauer“.

Das Konzept erinnert stark an das Wörgler „Schwundgeld“ der 30er Jahre. Wie es funktioniert? Das Geld müssen die Traunsteiner in lokalen Betrieben ausgeben und drei Prozent der eingewechselten Summe werden für gemeinnützige Projekte verwendet, z.B. für einen Kindergarten. Die „Chiemgauer“ müssen außerdem innerhalb von drei Monaten ausgegeben werden, denn ansonsten schwindet der Wert des Geldes: pro Quartal um zwei Prozent. Dieser Verlust kann jedoch mit dem Kauf einer Marke ausgeglichen werden. Ähnlich wie der Palmas kann auch dieses Geld nicht gespart, sondern muss ausgegeben werden.

Seit der Krise des Jahres 2008 gibt es weltweit 2.000 regional begrenzte Alternativwährungen, die den Regionen zugutekommen. Es geht also heute nicht nur bei der Lebensmittelproduktion und der Energieversorgung darum, den regionalen Aspekt zu beachten und den durch die Globalisierung bedingten Beeinträchtigungen entgegenzuwirken. Auch in der Geldwirtschaft müssen die globalen „Player“ zur Kenntnis nehmen, dass die Initiativen „von unten“ ausgesprochen erfolgreich sind.

Der deutsche Autor Nico Paech ist überzeugt, dass unser derzeitiges Geldsystem mit Nachhaltigkeit nicht zu vereinbaren ist, weil es nur durch beständiges Wachstum funktionieren kann. Der Grund dafür ist der Zinseszinsmechanismus, weil aus dieser Mechanik Geld ohne Leistung vermehrt wird. Dadurch entsteht mit der Zeit ein großes Ungleichgewicht aus Realökonomie und Finanzökonomie mit dem Ergebnis, dass regelmäßig wiederkehrende Krisen unvermeidlich sind!

Tim Jackson, Autor von „Wohlstand ohne Wachstum“, gibt zu bedenken, dass die Forderung nach „mehr, mehr, mehr“ eigentlich in keinem menschlichen Bereich gut funktioniert. Wissen wir doch aus eigener Erfahrung, dass einem von zu viel Essen schlecht wird und dass zu viel Konsum meist nicht mehr Glück bedeutet, sondern nur höhere Schulden. Die Annahme, dass „mehr“ auch immer „besser“ bedeutet, ist grundlegend falsch. Und daher ist es ist hoch an der Zeit, sich in vielen Bereichen des Lebens im Sinne von Leopold Kohrs Forderung nach „small is beautiful“ auf das Bescheidene, das Bessere zu besinnen!

 

Weitere Informationen

https://www.youtube.com/watch?v=ZQFrMN4L6o8 Wachstum, was nun?
Ein ARTE-Film von Marie-Monique Robin, 1:32 Stunden, abgerufen am 10.2. 2015

https://www.youtube.com/watch?v=Y5qPg-X4eh0 Wachstum um jeden Preis?
Ein ARTE-Film von Jacques Goldstein und Anne Kunvari, 2:04 Stunden, abgerufen am 10. 2. 2015

 

Interessant für

Wirtschaft; Gesellschaft, Kunst und Kultur; Religion und Ethik;

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[1] Kohr, Leopold: Das Ende der Großen. Zurück zum menschlichen Maß. Otto Müller Verlag, Salzburg 2002.

[2] ARTE-Film, auf Youtube abrufbar: http://www.youtube.com/watch?v=ZQFrMN4L6o8 abgerufen am 11. 2. 2015

[3] Heinberg, Richard: The End of Growth. Adapting to Our New Economic Reality. New Society Publishers, 2011.

 

[4] Vgl. http://hum-magazin.info/2011/03/das-worgler-wunder/