Eigentlich ist Leopold Kohr, unser Repräsentant der Jubiläumsserie, kalendermäßig nicht ganz korrekt hier gelandet. Er starb 1994,
also vor 21 Jahren. Geboren wurde er 1909 in Oberndorf/Salzburg, also vor 106 Jahren. Aber mit ein wenig Toleranz liegen wir beinahe richtig.
Small is …
Und weil er so gut zum Schwerpunkt Wirtschaft und Wachstum passt, haben wir ihn einfach genommen! Außerdem können interessierte Lehrerinnen und Lehrer sich nun gründlich auf ein Projekt im Jahr 2019 vorbereiten – zum hundertzehnten Geburtstag des Salzburgers. (Was natürlich als Scherz gemeint ist!)
Richtig ist jedenfalls, dass der Mann hierzulande weitgehend unbekannt ist, während das Zitat „small is beautiful“ in aller Munde ist. Das Buch gleichen Titels hat zwar der Wirtschaftswissenschafter Ernst Friedrich Schumacher geschrieben, aber er bezog sich dabei auf die Theorien von Leopold Kohr. (Und vollendete das Buch übrigens in dessen Haus, die beiden Männer waren eng miteinander befreundet.)
Das Leben von Leopold Kohr gleicht einer langen Weltreise, die er nicht freiwillig begonnen hatte: Die Nazis zwangen ihn, nachdem er in Innsbruck sein zweites Studium (Jus, in Wien davor Staatswissenschaften) abgeschlossen hatte, das Land zu verlassen. Wie ihm erging es bekanntlich vielen anderen Intellektuellen.
In Spanien arbeitete er als Journalist, neben anderen, später berühmt gewordenen Menschen wie Hemingway, Orwell und Malraux. Von dort ging es – die spanischen Faschisten hatten die Macht ergriffen – über Paris nach New York und weiter nach Kanada.
Seinem Biographen, Gerald Lehner, erzählte er von einer Begegnung mit Otto (von) Habsburg auf einer Party in Paris. Er habe zu ihm gesagt:
„Majestät, ich muss Sie warnen. Ich kann nämlich mit der Monarchie nichts anfangen, weil ich ein Sozialist bin. – Das stört gar nicht, hat der Otto gesagt. Er sei auch irgendwie ein Sozialist.“
In Kanada arbeitet er in einem Bergwerk, erleidet einen Hörsturz und ist von da an schwerhörig. Fotos zeigen ihn immer wieder mit einem Hörrohr und später mit einem Mikrofon, das er seinen Gesprächspartnern vor den Mund hielt. Es diente mit einem Verstärker dazu, dass er sein Gegenüber verstehen konnte.
Bereits 1941 erscheint in einem katholischen Magazin in New York sein Artikel über die dringend notwendige Zerschlagung der Großmächte. Kleine Einheiten haben den Vorteil, dass sie kaum Kriege gegeneinander führen, war seine Überzeugung – die Schweiz erschien ihm dabei ein durchaus wünschenswertes Vorbild.
Von New Jersey nach Puerto Rico
Von 1943 bis 1955 lehrt er an der Rutgers University im US-Bundesstaat New Jersey die Fächer Nationalökonomie und Politische Philosophie und geht danach an die Staatsuniversität von Puerto Rico. Dort begründet ein Konzept für Dorferneuerung und Verkehrsberuhigung. Das war also lange vor Fußgängerzonen und Reduzierung des Autoverkehrs durch öffentliche Verkehrsmittel.
1958 finden wir ihn in Wales, wo er den Pazifisten Gwynfor Evans unterstützt gegen die Zentralregierung in London.
„Das Kleine gegen das Große, David gegen Goliath.“ So lautete einer seiner Grundsätze, die seiner Meinung nach die tatsächliche Revolution unserer Zeit ist. Es gehe nicht um Links gegen Rechts, nicht um Sozialismus gegen Kapitalismus, Ideologien hätten ausgedient.
Keine Überraschung also, dass er 1967 gerne dem Ruf nach Anguilla folgte: Dort, in der Nähe von Kuba und Haiti, wollte sich die Bevölkerung von Großbritannien unabhängig erklären. Leopold Kohr half beim Aufbau der Kommunikation mit, aber englische Fallschirmjäger beendeten das Experiment sehr schnell, wohl auch deshalb, weil es auf der Insel keine bewaffneten Gegner gab.
1973 wird der inzwischen 63jährige Leopold Kohr von seiner Stammuniversität Puerto Rico pensioniert, übersiedelt in die Universitätsstadt Aberystwyth nach Wales und unterrichtet dort.
1983 erhält er als erster Österreicher den alternativen Nobelpreis, die Auszeichnung „für die Gestaltung einer besseren Welt“ und allmählich findet ihn auch seine Heimat, die er in den Sommerferien immer wieder besucht, interessant. Er übersiedelt 1993 in seinen Geburtsort Oberndorf und stirbt dort kurz danach, 1994, nach einer Herzoperation.
Übrigens hat er seine Heimat Salzburg nie vergessen: Die Distanz zwischen Oberndorf und der Stadt Salzburg beträgt etwa 22 Kilometer und diese erschien ihm immer als menschliches Maß. Er nannte diese Entfernung scherzhaft „1 Kohr“. Mehr war ihm, dem Weitreisenden, zu viel.
Ein Widerspruch? Nun ja, wahrscheinlich wäre er gerne in diesem Umfeld von 22 Kilometern geblieben, die politischen Verhältnisse der damaligen Zeit ließen diese Wahl nicht zu.
Vielleicht ist seine Idee, „dass das Kleine schön ist“, darauf zurückzuführen, vielleicht ist das alles romantisch? Sicher, aber das ist für Leopold Kohr kein Argument.
Wie sagte er in der Dankesrede zur Verleihung des alternativen Nobelpreises:
„Es wird immer wieder behauptet, die Kleinheit sei nichts weiter als der irrationale Traum eines Romantikers. Natürlich ist das romantisch! Aber nur für einen Romantiker hat das Leben überhaupt Sinn. Ein Leben, das aus dem Nichts beginnt und im Nichts endet und dazwischen eine Menge Geld kostet, ist rational betrachtet eine unhaltbare Verlustvorstellung. Nur ein Romantiker erkennt Glanz und Sinn in dem Regenbogen, der sich zwischen den beiden Nullgrößen am Anfang und am Ende aufspannt.“
Weitere Informationen
Lehner, Gerald; Die Biographie des Philosophen und Ökonomen Leopold Kohr; Franz Deutike Verlag, Wien 1994; ISBN 3-216-30107-9
https://www.youtube.com/watch?v=HVhZcbq_m5o Dokumentation über Leopold Kohr und Interviews mit ihm; 45 Minuten, abgerufen am 11.2.2015
Interessant für
Wirtschaft; Gesellschaft, Kunst und Kultur; Mathematik, Naturwissenschaften und Ernährung;
Ideen und Stichworte
- Wie können die Ideen von Leopold Kohr im Bereich Gastronomie umgesetzt werden?
- Mit welchen wirtschaftlichen Theorien können Kohrs Ideen heute verglichen werden und wer vertritt sie?
- Kann in einer Welt der Globalisierung lokal gehandelt werden und welche Einschränkungen oder Erweiterungen würde das für die Individuen bedeuten?
Mögliche Projektprodukte
- Fotoprojekt mit globalen und regionalen Produkten
- Interviews mit Menschen zum Thema „small is beautiful“, zum Beispiel worauf die Interviewten verzichten können/möchten/würden – ein Radio- oder Videoprojekt
- Exkursion auf Bauernhöfe oder in Lebensmittelindustrie und Analyse der wirtschaftlichen Bedingungen der Produzentinnen und Produzenten
- Umsetzung der Erkenntnisse in Bilder, Skulpturen, Lieder
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