Der Arzt, Neurobiologe und Therapeut Joachim Bauer veröffentlichte im Frühsommer 2013 sein neues Buch über das Thema „Arbeit[1]“, in dem er uns
detailliert erläutert, „warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht“. Der Begriff „Arbeit[2]“ bedeutete ja noch im Mittelalter „mühe und mühsal“ und auch „not die man leidet“.
Erst im letzten Jahrhundert gewann das Wort seine positiven Konnotationen dazu. Nichtsdestotrotz ergab eine Gallup-Umfrage bei 2200 Befragten im Jahr 2013[3], dass sich 61 Prozent kaum motiviert durch den Arbeitstag schleppen und „Dienst nach Vorschrift“ machen. 24 Prozent haben innerlich gekündigt und keine emotionale Bindung mehr an ihr Unternehmen.
Hauptursache dafür sei eine mangelhafte Personalführung, denn viele Arbeitnehmer stiegen hoch motiviert in ein Unternehmen ein, resignierten aber nach einiger Zeit aufgrund der Umstände. Nur sage und schreibe 15 Prozent hatten eine emotionale Bindung an ihre Firma und freuten sich morgens darauf, zur Arbeit zu gehen.
Als Therapeut und Arzt kennt sich Bauer bestens mit der Materie aus und nähert sich dem Thema Arbeit aus unterschiedlichen Perspektiven an, beschreibt z.B. die Entstehung und die kulturgeschichtliche Entwicklung der Arbeit, befasst sich mit unseren unterschiedlichen Stresssystemen, zeigt die Unterschiede zwischen Burn-out und Depression auf, prangert die „Vermessung“ der Arbeit in der globalisierten Welt an und kontrastiert Arbeit und Muße.
Das leicht zu lesende Werk – Bauer schreibt so angenehm, wie er bei Vorträgen spricht – bietet außerdem den Vorteil, dass wir sehr viele weiterführende Verweise erhalten, die leicht eine eingehendere Beschäftigung mit einem Thema ermöglichen.
Arbeit hat drei Dimensionen, sagt uns Bauer eingangs, denn zu arbeiten, heißt einmal der „äußeren Welt“ zu begegnen, dann sich selbst, indem wir schöpferisch tätig werden, und drittens anderen Menschen. Und indem wir durch unsere Arbeit etwas leisten, bekommen wir nicht nur monatlich Geld auf unser Gehaltskonto überwiesen, sondern auch Resonanz durch die Mitmenschen. Und dadurch erhalten wir „Anerkennung, Zugehörigkeit und soziale Teilhabe“ (S. 16).
Zu diesen Dimensionen gibt es entsprechende zerstörerische Gegenpole, z.B. die Zerstörung der Umwelt, zur zweiten Dimension Probleme wie Arbeitssucht und Burn-out und zur dritten Dimension den Kampf um Anerkennung und die damit manchmal auch zusammenhängende Gewalt z.B. in Form von Mobbing am Arbeitsplatz. Soziale Ausgrenzung, weiß der Arzt und Therapeut, nimmt unser Gehirn wie körperlichen Schmerz wahr. Denn historisch gesehen bedeutete „von der Gemeinschaft ausgegrenzt zu werden, den Tod. “ (S. 230)
Zwei Dinge haben mich als Leser besonders angesprochen: dass die Wissenschaft vor kurzem das so genannte „Default Mode Network“ entdeckt hat, das so genannte „Unruhe-Stresssystem“, „das sich dann einschaltet, wenn z.B. am Arbeitsplatz dauerhaft ‚Multitasking’ vonnöten ist“, also der Anspruch, unter Druck mehrere Dinge gleichzeitig und nicht hintereinander zu erledigen. Vor dem Hintergrund unserer Entwicklung war dieses Stresssystem notwendig, um stets wachsam zu sein und etwaige Gefahren in der näheren Umgebung zu registrieren. Beim Multitasking aktivieren wir dieses System und werden, wenn dies zum dauerhaften Zustand wird, krank dadurch.
Wobei Stress jedoch nicht immer nur etwas Negatives bedeuten muss, sondern im Sinne des kontrollierbaren „Eustress“ uns dazu motivieren kann, Höchstleistungen zu erbringen. Motivation bezeichnet Bauer übrigens als „die Fähigkeit, sich mit dem Geist oder körperlich auf etwas zuzubewegen.“
Positive Resonanzerfahrungen, wenn einem z.B. etwas gut gelungen ist, sind für Bauer wichtige Faktoren, um gesund zu bleiben, denn sie verschaffen einem Freude an der Arbeit (S 174f).
Eine freundliche Stimmung am Arbeitsplatz mit gegenseitiger kollegialer Unterstützung, zu der auch die Vorgesetzten beitragen sollen, ist die Basis, um seine Gesundheit zu erhalten. Weiters soll man sich von seiner Arbeit entsprechend distanzieren können, denn der Grad der Identifizierung mit der eigenen Arbeit, also wie weit man in seinem Beruf aufgeht und wie gut man andererseits am Abend und am Wochenende abschalten kann, entscheidet darüber, ob wir auf Dauer gesund bleiben oder am Stress erkranken.
Wichtig ist nach Bauer die Fähigkeit, seine Freizeit mit Muße zu genießen und vielleicht auch einmal gezielt nichts zu tun. Last but not least helfen regelmäßig ausgeübter Ausdauersportarten oder Yoga, den Kopf frei zu bekommen und abzuschalten.
Dass der Wissenschaftler das Burn-Out-Syndrom klar trennt von der Depression, war für mich neu. Bauer beruft sich auf die Erkenntnisse der Stressforscherin Christina Maslach und nennt folgende typische Merkmale eines Burn-Outs: Erstens verursacht ein Burn-Out meist eine anhaltende emotionale Erschöpfung, dazu kommt die starke Abneigung gegenüber von Menschen, für die man arbeitet, und ein starker Widerwillen der Arbeit gegenüber sowie die Unfähigkeit, effizient zu arbeiten.
Eine Depression manifestiert sich andererseits durch den allgemeinen Verlust der Lebensfreude. Menschen, die depressiv sind, leiden außerdem am mangelnden Antrieb und finden aus eigener Kraft keine Motivation mehr, etwas zu tun, haben kein Selbstwertgefühl mehr und oft schwere Schuldgefühle, die im schlimmsten Fall bis zur Selbsttötung führen können. Nicht alle Wissenschaftler werden jedoch Prof. Bauers Ansicht zustimmen. Der Leiter der Psychiatrie in Leipzig, Prof. Ulrich Hegerl, ist z.B. überzeugt, dass Burnout eine Modediagnose sei und oft nur ein besser klingender Name für eine depressive Erkrankung.
Joachim Bauers Buch „Arbeit“ ist für jeden ein Gewinn, der sich einen guten Einblick in die Thematik verschaffen will, warum unsere Arbeit nicht nur Segen, sondern auch ein Fluch sein kann. Und als Arzt, Neurobiologe und Therapeut erscheint der Autor prädestiniert dafür, dieses vielschichtige Thema umfassend und wissenschaftlich aktuell aufzubereiten – was ihm bestens gelungen ist!
Schlussbemerkung: Anlässlich seines Vortrags im Rahmen der Aha-Konferenz betonte Bauer, dass die Gesellschaft derzeit von den Lehrerinnen und Lehrern das absolut Unmögliche verlange und dieser Beruf seiner Ansicht nach einer der härtesten im Moment sei. (Vgl. dazu das Buch von Frank Huss: Schularbeit[4]).
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Das Buch
Bauer, Joachim; Arbeit – Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht; München: Karl Blessing Verlag in der Verlagsgruppe Random House, 2013,
ISBN 978-3-89667-474-6
Interessant für:
Allgemein, Pädagogik, Psychologie
[1] Bauer, Joachim: Arbeit: Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht. Blessing, 2013
[2] Vgl. Lexers „Mittelhochdeutsches Handwörterbuch“: www.woerterbuchnetz.de/Lexer/?sigle=Lexer&mode=Vernetzung&lemid=LA01950