Über eine verlorene Herrenhose

In diesem Haus in der Innsbrucker Staatsbahnstraße 6 (heute: Egger–Lienz–Straße) kam im Dezember 1923 offenbar einem Bewohner oder einer Bewohnerin der Wohnung im dritten Stock links eine Herrenhose abhanden.

Die Gründe dafür werden wir wohl nie erfahren, wir können nur mutmaßen. Dass wir aber überhaupt davon erfahren, hat damit zu tun, dass der Besitzer der Hose am 14. Dezember 1923 eine Verlustanzeige in den „Innsbrucker Nachrichten“ veröffentlichen ließ.

Verlustanzeige, Innsbrucker Nachrichten, Dezember 1923Wir lernen jedenfalls, dass vor genau 100 Jahren eine Hose wohl wesentlich wertvoller gewesen sein musste als eine Kleinanzeige im lokalen Medium.

Hat sich also ein Bewohner des Hauses eine neue Hose gekauft und diese vielleicht vor dem Hauseingang verloren? Das scheint eher unwahrscheinlich. Oder musste seine Frau die Hose – weil es zwar gerade elektrischen Strom, aber noch keine Waschmaschinen gab – mühselig waschen und hat sie sie dann zum Trocknen auf das nach Süden ausgerichtete Fensterbrett hingelegt? Von wo sie der Innsbrucker Föhn davontrug? Möglich … Auch denkbar ist, dass die Hausfrau die nasse Hose im Innenhof zum Trocknen aufhing und jemand dann das wertvolle Kleidungsstück entwendete, weil vier Jahre nach dem ersten Weltkrieg noch allerorten große Not herrschte.

Im Jahr 2023 hingegen würde wohl niemand wegen des Verlustes einer Herrenhose eine Kleinanzeige aufgeben, um seine Hose wieder zurückzubekommen. Außer, es würde sich um eine Designerhose zum Beispiel von Moschino oder Roberto Cavalli etc. handeln.

Denn Kleidungsstücke werden seit Jahren in Asien großteils unter problematischsten Bedingungen produziert und in der reichen Ersten Welt billigst verkauft. Die Frage ist freilich, wie lange noch…