Das Berufsbild der Lehrerin bzw. des Lehrers ist in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich vielschichtiger geworden.
Heute geht es – wie vielleicht noch in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts – nicht mehr primär darum, in eine Klasse zu gehen und dort nur Stoff zu vermitteln. Das funktioniert in den meisten Fällen nicht mehr.
Die Profession hat sich aufgrund der gesellschaftlichen Anforderungen weg vom Vermittlungsberuf und hin zum Beziehungsberuf (Joachim Bauer) verändert, in dem der Fokus vor allem darauf liegt, Beziehungen im schulischen Bereich so zu gestalten, dass Lernen dadurch möglich wird. Das betrifft nicht nur die professionelle Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen, sondern auch zu den Kolleginnen und Kollegen und natürlich zu den Eltern.
Die Anforderungen an die einzelne Lehrperson sind jedenfalls heutzutage wesentlich komplexer und anstrengender als noch vor 20 Jahren. Für viele Lehrerinnen und Lehrer ist daher der Schulalltag zu einer großen Belastung geworden. Und Bedingungen wie z.B. große Klassen, andauernder Lärm, schwierige Kinder, „Helikoptereltern[1]“, ständig neue Forderungen „von oben“, das geringe Ansehen des Berufs in der Gesellschaft sowie natürlich auch ungünstige persönliche Voraussetzungen können massiven Stress erzeugen und Lehrerinnen und Lehrer krankmachen.
Der amerikanische Soziologe Aaron Antonovsky[2] wies z.B. darauf hin, dass unsere Gesundheit von mehreren Faktoren abhängt, die sich auf das Wohlbefinden auswirken. Gesunde Menschen brauchen insbesondere ein „Kohärenzgefühl“, das durch diese drei Dinge entsteht:
Das Gefühl der Verstehbarkeit
Wir müssen unsere Umwelt als strukturiert und verstehbar wahrnehmen können und dürfen nicht den Eindruck haben, den Dingen ausgeliefert zu sein.
Das Gefühl der Bewältigbarkeit
Wir brauchen das Gefühl, die an uns gestellten Anforderungen gut bewältigen zu können. Fühlen wir uns der Maschine ausgeliefert wie Charlie Chaplin in „Modern Times“, überfordert uns das auf Dauer und macht uns krank.
Das Gefühl der Sinnhaftigkeit
Wir müssen unsere Aufgaben als wichtig und sinnvoll erleben können.
In seinem kürzlich erschienenen Buch „Arbeit[3]“ weist Joachim Bauer darauf hin, dass wir, um gesund zu bleiben, Resilienz, also Durchhalte- und Widerstandskraft, entwickeln müssen.
Diese basiert nach K. Reivich und A. Shatte auf den folgenden sieben Säulen[4]: Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, Aufgabe der Opferrolle, Übernahme von Verantwortung, Netzwerkorientierung und Zukunftsplanung. Studien belegen, dass Lehrkräfte, die über diese Ressourcen nicht verfügen, besonders anfällig für psychische Störungen sind. Darüber hinaus ist es wichtig, so Bauer, nach der Arbeit abschalten zu können und ausreichend Bewegung zu haben bzw. andere Formen des Ausgleichs zu nutzen, wie z.B. Meditation oder autogenes Training. (Prof. Bauer bietet übrigens online einen Gesundheitscheck für Lehrkräfte an, der ohne Registrierung durchführbar ist: http://www.bllv.de/Gesundheits-Check.6613.0.html.)
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass trotz der intensiven öffentlichen Diskussion über die Schule die Gesundheit der Lehrerinnen und Lehrer in den letzten fünf Jahren in Österreich nur vereinzelt – und meist als Krankheit – thematisiert wurde, wie z.B. durch den Wiener Lehrer Franz Huss, der ein Buch über sein Burn-Out veröffentlichte.
Wenn man bei Google global nach dem Begriff „Lehrergesundheit“ sucht, wirft die Suchmaschine Anfang 2014 rund 65.000 Ergebnisse aus. Auf den ersten beiden Seiten finden wir jedoch nur einen einzigen österreichischen Eintrag, alle anderen beziehen sich auf Deutschland. Unter anderem listet Google ganz oben aktuelle Dinge auf wie das hervorragende „Handbuch Lehrergesundheit[5]“ der Universität Lüneburg und die Infoseite der Uni Freiburg[6] zum Thema.
Außerdem verweist die Suchmaschine auf zahlreiche Fortbildungsangebote über deutsche Anbieter und auf einschlägige Literaturtipps. Schränkt man die Suche ein, um nur Ergebnisse aus dem letzten Jahr zu bekommen, bietet Google für Deutschland 24 Seiten an, während für Österreich lediglich vier Seiten mit eher bescheidenen Links angeboten werden.
Die oben angesprochene Studie der Uni Lüneburg, das „Handbuch Lehrergesundheit[7]“, basiert auf dem aktuellen Forschungsstand, betrachtet das Thema ganzheitlich und empfiehlt, Schulentwicklung auf breiter Basis anzustreben – wissend, dass die lateinische Redewendung „mens sana in corpore sano“ nicht nur eine hohle Phrase ist, sondern dass zwischen Gesundheit und Bildung sehr wohl eine eindeutige Wechselbeziehung besteht[8].
Das Ziel war, gute und gesunde Schulen gemeinsam mit allen beteiligten Akteurinnen und Akteuren der Schulgemeinschaft zu entwickeln. Die deutsche Krankenkassa DAK initiierte gemeinsam mit der Uni Lüneburg dieses Projekt, um das System Schule so zu gestalten, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene fit und gesund bleiben.
Zwischen 2008 und 2010 beteiligten sich 30 Schulen an der Initiative und entwickelten selbstgesteuert unter wissenschaftlicher Begleitung ihre Schule weiter. Nach einer Ist-Stand-Analyse wurden Arbeitsgruppen gebildet, die sich Ziele setzten und konkrete Maßnahmen umsetzten, um den Lebensraum Schule nach ihren Wünschen zu verändern. Positiver und wohl auch gewünschter Nebeneffekt der Organisationsentwicklung war, dass die Beteiligten damit Resilienz (vgl. oben) erwarben und so nicht nur ihre Schule weiterentwickelten, sondern auch sich selbst.
Wenn Lehrpersonen an Burn-Out erkranken, hängt das eher von ihrer Persönlichkeitsstruktur ab als von den Bedingungen an ihrer Schule, erhob die Soziologin Christina Mogg[9] im Rahmen ihrer Dissertation.
Aus Deutschland wissen wir, dass bis zu 50% aller Lehrerinnen und Lehrer mehr oder weniger starke Symptome einer Anspannung bzw. eines Burn-Outs zeigen. Und wenn es einmal so weit ist, dass diese Symptome die normale Arbeit an der Schule unmöglich machen, dann helfen den Erkrankten spezielle Kuraufenthalte, Seminare und Therapien.
Viel besser und billiger wäre es freilich, vorzubeugen und ein schulisches Klima zu schaffen, das die Menschen am System nicht leiden lässt. Gerade deswegen wäre es für Österreich es ein Riesenschritt in die richtige Richtung, würden hier wie in Deutschland eine Krankenkassa und eine Universität kooperieren und landesweit einer größeren Anzahl von Schulen anbieten, sie im Rahmen der Organisationsentwicklung auf ihrem Weg zur gesunden Schule zu begleiten!
Weitere Informationen
- Erst nach dem Verfassen des Artikels gefunden: Wissenswertes über die schulische Gesundheitsförderung in Österreich: www.gesundeschule.at/?page_id=488 (RW, abgerufen am 13.3.14)
- Uni Freiburg
www.zlb.uni-freiburg.de/derlehrerberuf/lehrergesundheit abgerufen am 4. 2. 2014 - Lehrer stärken – Lehrer zu sein, das ist eine höchst anspruchsvolle Aufgabe.
www.anschub.de abgerufen am 4. 2. 2014 - Lehrerinnengesundheit
www.schule.at/portale/volksschule/paedagogik/detail/lehrerinnengesundheit.html abgerufen am 4. 2. 2014
- Servicestelle für Gesundheitsbildung. Eine Initiative von BMUKK, BMG und ÖJRK
http://give.or.at/index.php?id=81 abgerufen am 4. 2. 2014
<rw>
[1] Vgl SWR-Interview mit Josef Kraus: http://bit.ly/LlDYEc abgerufen am 4. 2. 2014
[2] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Salutogenese abgerufen am 4. 2. 2014
[3] Vgl. http://hum-magazin.info/2013/10/oder-arbeiten-um-zu-leben/ abgerufen am 4. 2. 2014
[4] Vgl. das Sieben-Säulen-Modell der beiden Resilienzforscher Karen Reivich und Andrew Shatte. In: Leypold, Heike: Das Resilienzmodell als bestimmender Einflussfaktor für erfolgreiche Organisations- und Personalentwicklung. Logos. Berlin 2009. (S 25f)
Zum Nachlesen bei Google Books: http://bit.ly/1fIYHvB abgerufen am 4. 2. 2014
[5] www.handbuch-lehrergesundheit.de (Impulse für die Entwicklung guter gesunder Schulen. Eine Veröffentlichung der DAK-Gesundheit und der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen.
2. Auflage, 2012) abgerufen am 5. 2. 2014
[6] Vgl. auch www.zlb.uni-freiburg.de/derlehrerberuf/dateien/30-jantowski-hartleib.pdf abgerufen am 4. 2. 2014
[7] Als PDF auch hier erhältlich:
www.unfallkasse-nrw.de/fileadmin/server/download/Sonderschriften/Lehrergesundheit.pdf abgerufen am 4. 2. 2014
[8] Eine steirisch-oberösterreichische Studie aus dem Jahr 2008 kommt ebenfalls zu diesem Ergebnis: http://bit.ly/1jZvmCu