Die Gender-Debatte der letzten Jahre beschäftigte sich intensiv mit der Position der Frau in unserer Gesellschaft und das war gut und richtig so, gibt es doch noch immer sehr viele Bereiche, in denen deutlicher Aufholbedarf besteht. Jedoch wurde wohl im Rahmen dieser Diskussion zu wenig Augenmerk auf eine Tatsache gelegt, die mittlerweile ein größeres Problem darstellt: die schulischen Leistungen von Buben werden immer schwächer, die Mädchen hängen ihre Altersgenossen in vielen Disziplinen klar ab.
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Die Ergebnisse des letzten PISA-Tests belegten zB eindrucksvoll, dass die Mädchen in allen getesteten Ländern im Lesen deutlich besser abschnitten als die Burschen. Die österreichischen Mädchen hängten die Burschen um 41 Punkte ab (OECD-Schnitt: 39 Punkte). Diese Erfahrung durfte ich vor Jahren auch mit meinen eigenen Kindern machen: während die Tochter von Anfang an gerne und viel las und in der Schule problemlos ihren Weg machte, lehnte der Sohn grundsätzlich alles ab, was mit Lesen zu tun hatte, und widmete seine Freizeit vornehmlich dem stunden-, ja tagelangen Computerspiel. Und niemand und nichts konnten ihn davon abhalten…
Klaus Hurrelmann, Erziehungswissenschaftler an der Universität Bielefeld, nannte in einem Interview mit der Zeitschrift „Der Spiegel“ mehrere Gründe, die belegen sollen, weshalb Mädchen nicht nur beim PISA-Test, sondern generell in der Schule seit Jahrzehnten die Nase vorne haben. Ein bedeutender Grund dafür sei, so Hurrelmann, zB das unterschiedliche Freizeitverhalten. So verbringen Mädchen ihre Freizeit mit sinnvolleren Hobbys als Buben, die vor allem vor dem PC sitzen. Mädchen sprechen durch die vielfältige Freizeitgestaltung mehrere Sinne an und fördern damit ihre Leistungsfähigkeit. Um die Burschen aus ihrer selbst gewählten Isolation zu holen, tritt Hurrelmann daher für eine gezielte Förderung in der Schule ein.
Des weiteren ist Hurrelmann überzeugt, dass es zu wenig Männer im Lehrberuf gibt und wir, wenn wir „einer dauerhaften Feminisierung der Umgangsformen entgehen “ wollen, gleich viele Männer wie Frauen im Kindergarten und als Lehrer brauchen, um die Burschen so aus ihrem traditionellen Geschlechtsbild herauszuholen. Die vielen Frauen im Lehrberuf, so der Erziehungswissenschaftler, würden zudem verhindern, dass Buben sich entsprechend entwickeln können und deswegen mit ihren Leistungen hinter denen der Mädchen bleiben.
Diese Schuldzuweisung kann jedoch laut Marcel Helbig, Sozialwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin, durch nichts empirisch belegt werden, denn seit den 50er Jahren befasste sich erst eine Handvoll Studien mit dem Zusammenhang von Geschlecht und Leistung und darin sind keinerlei Hinweise zu finden, die Hurrelmanns kühne These belegen würden. Vielmehr zeigen zwei neuere Studien, an denen Helbig beteiligt war, dass Buben von (männlichen) Lehrern weder beim Lesen noch in Mathematik profitieren würden. Statt dessen kommt Helbig zum Schluss, dass wohl der einzige Grund, dass Mädchen in der Schule erfolgreicher sind, der sei, dass sie sich eben mehr anstrengen.
Nichtsdestotrotz sehen wir uns jeden Tag aufs Neue mit der Tatsache im Klassenzimmer konfrontiert, dass Buben dem Unterricht wesentlicher weniger motiviert folgen wollen/können als Mädchen und dass dies auch die Zeugnisnoten belegen. Während die guten Noten für die Mädchen als etwas Erstrebenswertes gelten, sind sie für viele Burschen etwas, das man nicht unbedingt haben möchte, weil man dann ja als „Streber” bezeichnet werden könnte.
So sollte es wohl heute, nach Jahrzehnten der frauenbezogenen Gender-Debatte, vordringlich sein, intensiv zu beforschen, was Jungen an Unterstützung benötigen, um die für ihre schulische Laufbahn notwendigen Kompetenzen zu erwerben und sich nicht durch ein verzerrtes Rollenverständnis das Leben in der Schule zu erschweren.
Weitere Informationen
- PISA 2009 – Ergebnisse
www.bifie.at/pisa - „Wer hat Schuld an der „Krise der Buben“?
http://science.orf.at/stories/1646656/ - „Jungs in der Krise“
www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,688659,00.html - Wohlfühl-Kuschelpädagogik geht Jungs gewaltig auf die Nerven
www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,545037,00.html
(rw)