Das „Wörgler Wunder“

Der Schwarze Freitag des Oktobers 1929 an der New Yorker Börse leitete eine weltweite Wirtschaftskrise ein und hatte auch auf die Wirtschaft der noch so jungen Republik Österreich schwer wiegende Folgen.

Während Politik und Wirtschaft mit rigiden Sparmaßnahmen, Lohnkürzungen und Stellenabbau versuchten, der schweren Krise Herr zu werden, und Arbeitslosigkeit und Verelendung rapide zunahmen, versuchte Michael Unterguggenberger, Bürgermeister der kleinen Tiroler Gemeinde Wörgl, auf besonders kreative Art und Weise den massiven Problemen zu begegnen.

Der aus bäuerlichen Verhältnissen stammende Unterguggenberger, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, hatte es durch Fleiß und Einsatz verstanden, sich zum Mechanikermeister und Lokführer hochzuarbeiten, bevor er Bürgermeister von Wörgl wurde. Schon zu Zeiten der Monarchie hatte Unterguggenberger begonnen, sich mit dem Thema Geld zu beschäftigen, und war auf die Thesen des Finanztheoretikers Silvio Gesell gestoßen, die ihn faszinierten. Der vertrat vor allem die Anschauung, dass für eine gut funktionierende Wirtschaft besonders eine gleichmäßige Zirkulation des Geldes notwendig sei und dass Geld nicht gehortet werden dürfe. Auch sollte das Geld deswegen wie andere Güter einem zeitlich gebundenen Wertverlust unterliegen, um auf diese Weise die Besitzer zu zwingen, es beizeiten auszugeben, es zu investieren und so die Wirtschaft in Gang zu halten.

Im Sommer 1932 begann in der Tiroler Gemeinde das Freigeldexperiment. In diesem Jahr hatte der Ort 4.500 Einwohner, rund 1.500 waren ohne Arbeit. Die Not war also groß. Unterguggenberger, der sich die Zustimmung der Wörgler Bevölkerung eingeholt hatte, ließ „Arbeitswertscheine” (Aufschrift auf der Rückseite: „Er lindert die Not, gibt Arbeit und Brot!”) drucken und hinterlegte in der örtlichen Raiffeisenbank die entsprechende Summe in Schilling. Von diesem Zeitpunkt an verwendete man in Wörgl nur mehr das bunte Ersatzgeld, das in der Höhe von 1, 5 und 10 Schillingeinheiten ausgegeben wurde und mit einem Stempel des Bürgermeisteramtes versehen war.


Bild: Wikipedia

Pro Monat verloren diese Wertscheine 1% und die Bürger mussten Wertmarken kaufen und aufkleben, um den Verlust auszugleichen. Die Folge war, dass das Ersatzgeld immer schneller in Umlauf gebracht wurde, die Gemeinde wieder Steuern einnahm und diese sogleich in den Ausbau der Wörgler Infrastruktur investierte, indem zB die Kanalisation ausgebaut wurde, Gehsteige und eine Brücke errichtet wurden usw.

Auch der Handel florierte wieder, anders wie im Rest von Österreich, und der Erfolg machte Unterguggenberger berühmt und zu einem gefragten Vortragenden, der überallhin eingeladen wurde, um über sein gelungenes Experiment zu berichten.

Andere Gemeinden kopierten das erfolgreiche Konzept, doch die Regierung des Ständestaats beunruhigte dieses eigenmächtige Vorgehen. Im Jahr 1933 beschloß deswegen der Verwaltungsgerichtshof, dass das Experiment zu stoppen sei. Unterguggenberger war zutiefst enttäuscht, denn die Einnahmen der Händler und der Gemeinde sanken in Folge drastisch und in Wörgl kehrte wieder die Not ein.

Im Jahr 1936 starb Michael Unterguggenberger, erst 52 Jahre alt, an Asthma.

Weitere Informationen

  • Die Zeit
    http://www.zeit.de/2010/52/Woergl
  • Wikipedia:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Silvio_Gesell
  • Peter Zimmermann, Mamei und Andreas Wehrheim, Der Schatz von Wörgl, ein Comicband, erhältlich z.B. bei Amazon.de

(rw)