Die Erfolgsgeschichte: Das Buch der Gesichter

Im Oktober 2010, erst sechs Jahre nach seiner Gründung, kann das erfolgreiche soziale Netz-werk Facebook bereits über eine halbe Milliarde Mitglieder verzeichnen. Und in der Kasse des noch nicht einmal 30-jährigen Erfinders, Mark Zuckerberg, klingelt es seit Jahren kräftig, hat er doch mittlerweile mit seiner Idee sage und schreibe sechs Milliarden Dollar verdient!

Bemerkenswert ist, dass wir in Österreich Facebook heute schon durchschnittlich bis zu einer Stunde pro Tag nutzen. Das ergab eine Studie, die der ORF auf futurezone.at am 18. Oktober 2010 veröffentlichte1). Und seit Jänner 2010 bin auch ich Mitglied dieses Netzwerks, denn Alan, ein pensionierter Kollege aus Großbritannien, hatte mich dazu eingeladen. Mittlerweile weiß ich: er wusste gar nicht, dass mir in seinem Namen eine Einladung zugegangen war, denn Facebook hatte das im Hintergrund ohne sein Zutun erledigt und mir folgende Mail geschickt:

Schau dir meine Fotos auf Facebook an – von dir ist bestimmt auch eins dabei! Hallo …, Ich habe ein Facebook-Profil erstellt, in dem ich meine Bilder, Videos und Veranstaltungen posten kann, und möchte dich als FreundIn hinzufügen, damit du diese sehen kannst. Zuerst musst du Facebook beitreten! Sobald du dich registriert hast, kannst du ebenfalls dein eigenes Profil erstellen. Grüße, (…)

Zuerst wollte ich mich nicht anmelden, tat es dann aber doch, weil ich neugierig war. Und war vollkommen verblüfft, als ich nach meiner ersten Anmeldung vom System die Info bekam, dass ich wahrscheinlich wohl Vincent kennen dürfte sowie Irene, Astrid und Peter. Damals war mir unklar, wie Facebook das wissen konnte, heute weiß ich, dass die Plattform die Leute über die „friend-finding”-Funktion auffordert, ihre Mailkonten für Facebook zu öffnen und so viele potenzielle Teilnehmer/innen oder Kund/innen findet. Denn Facebook sucht und speichert nicht nur Maildaten, Anschriften und Telefonnummern von existierenden Mitgliedern, sondern sammelt vielmehr nebenbei auch alle jene Kontaktinformationen, die später vielleicht einmal jemanden so wie mich beeindrucken können.

Eigentlich pflege ich ja zu „Facebook” eine Art Hassliebe. Das Sammeln von persönlichen Daten durch diese amerikanische Firma geht mir an sich furchtbar gegen den Strich und daher pro-testiere ich dagegen, indem ich mich alle paar Wochen wieder einmal abmelde – was mir aber vollständig nie gelungen ist, weil es offenbar, anderslautenden Meldungen in Fachzeitschriften und im Internet zum Trotz, nicht möglich ist, sein Konto komplett zu löschen. Was mir andererseits vielleicht auch deswegen nicht gelingt, weil ich schon eine Art Abhängigkeit, eine immer stärker werdende Neugier auf belanglose Dinge aus dem Familien- und Freundeskreis, an mir bemerke. Und davon gibt es bei Facebook genug!
So habe ich mich z. B. vor dem Sommer abgemeldet, weil ich ja in den Ferien Besseres zu tun habe, als u.a. die Geschicke meines Neffen Max dabei zu verfolgen, wie er ständig Mädchen über diese Plattform anbaggert. Trotz Anleitung aus dem Internet schaffte ich es nicht, meine persönlichen Daten auf dieser Plattform zu löschen. Denn Anfang September, als ich neugierig war, ob nun mein Konto tatsächlich nicht mehr existierte oder vielleicht doch noch, musste ich zu meinem Erstaunen feststellen, dass ich noch immer Zugang zu Facebook hatte. Und alle meine persönlichen Daten und Fotos waren auch noch da.

Was mir freilich an diesem „sozialen Netzwerk” gefällt, ist, dass ich noch nie so intensiven Kontakt mit manchen Verwandten hatte wie in den letzten Monaten. Neffe Max ist 17, hat 270 „Facebook-Freundinnen und Freunde”, zu denen neben seinem Vater und Großvater und anderen Verwandten auch ich gehöre, und informiert uns in aller Kürze – und in einer abenteuerlichen Schreibweise – mehrmals täglich über alles Mögliche, zumeist Belangloses. Nach seinen kryptischen Kurzmeldungen kommentieren dann seine engeren Freunde die Meldungen entwe-der mit „Gefällt mir” oder mit einem kurzen Text. In einer ebenso fehlerhaften Rechtschreibung.

Anders als Max bin ich, was Facebook betrifft, zugegebenermaßen ein Versager, eigentlich ein „Loser”! Warum? Ich habe noch immer erst mickrige 20 Freundinnen und Freunde, während beflissene FB-Anwender 200 bis 300 haben. Und wie ich mittlerweile weiß, bedauern einge-fleischte Facebook-User jene Mitglieder, die nicht einmal 100 Freunde haben. Der Standard2) berichtete am 6. September 2010 in diesem Zusammenhang, dass derzeit jedes Mitglied im Schnitt 130 „Freunde/innen” habe – und dass das „de-friending”, das Beenden einer „Freundschaft”, für digitale Bekannte offenbar genauso unangenehm sei wie im wirklichen Leben.

Als Lehrer tu ich mich außerdem recht schwer, Schülerinnen und Schüler, aber auch Kolleginnen und Kollegen in die Liste meiner „Freunde” aufzunehmen. Denn meine relativ privaten „Postings”, Fotos usw. möchte ich ja nicht unbedingt mit der ganzen Welt teilen, sondern nur mit meinen wirklichen Freunden und Verwandten. Und ein zweites Konto für berufliche Angelegenheiten darf ich ja eigentlich bei Facebook nicht eröffnen. Will ich auch nicht, da schon jetzt der zeitliche Aufwand fürs „Networking” beträchtlich ist.

Seit kurzem hat auch mein Vater mit 84 sein eigenes Facebookkonto. Mal sehen, wie lange es dauert, bis er die Anzahl meiner Freunde toppt und ich weiterhin der Facebook-Loser der Familie bin!

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1) Futurezone, Nutzer täglich eine Stunde online, http://www.futurezone.at/stories/1664149  24. 10. 2010
2) Standard, Entfreunden bringt reale Schmerzen, http://derstandard.at/1282978976551/Facebook-Entfreunden-bringt-reale-Schmerzen  24. 10. 2010
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